Sie hatte geschlafen wie eine Tote.
Am Abend war sie frisch gewaschen und in neuen Kleidern ins Bett gefallen und beinahe noch im selben Augenblick eingeschlafen. Die dreit?gige Reise durch Wald und Schotterweg war anstrengender gewesen, als sie vor ihrem Gefolge zugeben würde und die weichen Matratzen und Decken hatten ihr unterwegs auch gefehlt.
Sie hatte in der Früh gerade noch Zeit gehabt, zu frühstücken und sich anzuziehen, bevor ein Bote der Oberin sie in den Thronsaal der Oberin einlud.
Als sie nun fast alleine vor den beiden prachtvoll dekorierten, aber immer noch geschlossenen Türflügeln steht, bereut sie ein wenig, sich so sehr gesputet zu haben. Aber es ist besser zu früh, als zu sp?t da zu sein, vor allem wenn es um eine Audienz bei der m?chtigsten Frau des Reiches geht. Einer nach dem anderen finden sich langsam auch ihre restlichen Ritter ein. Einige von ihnen g?hnen und scheinen eine lange, alkoholreiche Nacht hinter sich zu haben.
Rhiscea glaubt bereits alle aus ihrem Gefolge unter den Wartenden gefunden zu haben, als sie am Ende des langen Ganges noch eine kleine Gruppe an Bewaffneten auf sich zukommen sieht.
Es sind vier M?nner aus der Garde der Oberin und in ihrer Mitte führen sie den in Ketten gelegten Elfen.
Sie schnaubt ver?chtlich. Wie hatte sie blo? den Ehrengast der heutigen Veranstaltung vergessen k?nnen.
Beim N?herkommen erkennt sie, dass der Hybrid wohl auch ein Bad mit Scheuerlappen hinter sich haben muss, denn seine Haare sind nicht mehr ?lig und der gesamte Schmutz, der ihn von Kopf bis Fu? eingedeckt hatte, ist jetzt weg. Den ungesunden Ton seiner Haut hat das Wasser und die Seife nicht verbessern k?nnen. Wenn überhaupt, leuchtet durch den wei?en Leinenstoff der neuen Hose und des Hemdes das elfische Grünblau nur noch deutlicher hindurch.
Er scheint nicht besonders glücklich über das Bad zu sein, denn er starrt bitter zu Boden und als er Rhiscea erblickt, wirft er ihr einen besonders giftigen Blick zu.
Ein wenig verwundert muss Rhiscea gestehen, dass sie in seinen Augen keine Spur von Angst erkennen zu kann. Wei? er etwa nicht, was ihm bevorsteht? Oder ist es das letzte Aufb?umen seines Mutes und er wird vor der Axt in der Hand des Scharfrichters zusammenbrechen und mit Tr?nen in den Augen um sein Leben flehen?
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Was auch immer es ist, sie wird es früh genug erfahren.
Kurz f?llt ihr Blick auf seine schwarzen Flügel. Es scheint ihr fast, als würden sie etwas weiter von seinem Rücken weg ragen. Hatte sich das Seil lockern k?nnen?
In dem Moment ?ffnen sich beide Türflügel und vor der wartenden Gruppe tut sich ein riesiger, mit Gold und Marmor geschmückter Saal auf.
Die Decke, welche h?her liegt als jedes Kirchengew?lbe, das Rhea bis jetzt betreten hatte, wird von baumbreiten, wei?en S?ulen gehalten. In den gl?nzenden Boden ist ein Muster aus rotbraunen und wei?en Dolomitplatten eingelegt, welches auf den Thron an der gegenüberliegenden Wand zuführt.
Auf dem vergoldeten Stein sitzt eine schlanke Frau im braunroten Kleid. Ihre langen, wei?en Haare flie?en um ihre Gestalt wie Flüsse und umrahmen die perfekten, feinen Risse ihres Gesichtes.
Die Fürstin tritt ein, die Schritte ihrer hartbesohlten Schuhe hallen durch den gro?en, bis auf einige Zuschauer, die den Weg zur Oberin s?umen, leeren Raum.
Auch wenn sie den Thronsaal im Wintersitz der Oberin bereits dutzende Male gesehen hat, so überw?ltigte seine Gr??e und Pracht sie immer wieder aufs Neue.
Die Garde und der Elf folgen ihr mit einigem Abstand und zuletzt trudeln auch die Ritter der Fürstin ein.
Als sie in der Mitte des Raumes ankommt, bleibt sie stehen und verbeugt sich gro?zügig vor der Oberin.
“Rhiscea”, begrü?t die Oberhexe sie, “mein Kind, wie ich dich vermisst habe.”
Die Fürstin hebt den Kopf wieder und beobachtet, wie die wei?haarige Frau aufsteht und die wenigen marmornen Treppenstufen zu ihr hinuntersteigt. Die Arme weit ausgebreutet und ein herzliches L?cheln auf den Lippen, kommt sie der Fürstin entgegen und umarmt sie.
Nach einigen Momenten l?sst sie ihre Tochter wieder los und weicht einen Schritt zurück, um sie von Kopf bis Fu? betrachten zu k?nnen.
“Ebenso, Mutter”, erwidert Rhiscea ihren Gru?.
“Wie lange es doch her ist, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe”, versucht sie sich zurückzuerinnern.
Einige Jahre wahrscheinlich. Sie waren sich seit Rhisceas Amtsübernahme kaum mehr begegnet. Sowohl in dem Gebiet der Fürstin als auch im gesamten K?nigreich gab es viel zu regeln und so blieb nur wenig Zeit für famili?re Zusammenkünfte.
“Du überraschst mich immer wieder aufs Neue, wei?t du das, Rhiscea?”
Die Oberin l?chelt Rhea stolz an, die Schultern ihre Tochter haltend, als würde sie Ihre N?he nicht verlieren wollen.
“Zuerst schaffst du es die Bestie, welche deinen Vorg?nger in Stücke gerissen hat, innerhalb von wenigen Wochen ausfindig zu machen und zu erlegen und jetzt hast du erneut ein Monster gefasst, dass die gesamte Fürstenschaft in Atem hielt.”
Sie blickt hinter die Fürstin und fügt hinzu: “Und das sogar lebend.”
N?chstes Kapitel: 21.01. “Sich mit dem Wind wandelnd”